Internationaler Jahresrückblick Polizeigewalt 2022

International KGP

Wir blicken auf das vergangene Jahr 2022

Das Jahr 2022 wurde international durch viele Vorfälle von massiver Gewalt, welche durch die Polizei ausgeübt wurde, begleitet. Sowohl im Rahmen der Invasion Russlands in die Ukraine und der Unterdrückung von Protest in Russland, bei den Protesten gegen das Regime im Iran als auch bei den Anti-Zero-Covid Protesten in China spielte die Polizei eine zentrale Rolle. Die dabei angewendeten Mittel der Exekutive unterschieden sich in ihrer Form und Qualität jeweils von Land zu Land. Nichtsdestotrotz muss festgehalten werden, dass die Befugnisse, über welche Polizeieinheiten auf der gesamten Welt verfügen, sehr weitreichend sind und auch zu einem Großteil reale Anwendung gegen die Bevölkerung der einzelnen Länder finden. Dies kann als direkte Folge der globalen Militarisierung und Ausstattung mit Euqipment für Aufstandsbekämpfung und Kriegsführung der Polizei gewertet werden.
 
Aus diesem Grund blicken wir auf das vergangene Jahr 2022. Wir möchten anhand einiger Beispiele aufzeigen, dass Polizeigewalt zum Alltag vieler Menschen dazu gehört, sich aber auch an vielen Orten Widerstand gegen eine häufig gewaltsam und unverhältnismäßig agierende Polizei regt. Der Artikel erhebt keinen Anspruch darauf, einen vollständigen Überblick über Polizeigewalt und die globalen Proteste gegen sie abzubilden. Er soll viel mehr verdeutlichen, dass es weltweit Bestrebungen gibt, einer Exekutive, welche immer autoritärer auftritt und mit immer mehr Befugnissen und Equipment ausgestattet wird, Grenzen aufzuzeigen.
 
Proteste gegen die Regierung im Iran
 
In Iran finden seit Monaten Aufstände der Bevölkerung statt, die durch die Ermordung von Jina Amini (Mahsa Amini) ausgelöst wurden. Am 16.09.2022 wurde die 22-jährige, die aus der Provinz Kurdistan stammt, in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen. Grund dafür war ihr zu locker sitzender Hijab, der laut der strengen islamischen Kleiderordnung für Frauen die Haare vollständig bedecken muss. Sie erlag kurze Zeit später den Folgen der Gewalteinwirkung durch die Polizisten. Ihr kurdischer Name Jina wurde von den staatlichen Behörden nicht anerkannt, weshalb oft von Mahsa Amini die Rede ist. 
In Folge ihrer Ermordung fanden am 19.09.2022 die ersten Proteste in der Hauptstadt Teheran statt, welche sich schnell ausweiteten und das gesamte Land erfassten. Die Reaktion von Polizei, Revolutionsgarden und Milizen auf die Proteste war von Beginn an von großer Brutalität geprägt, viele Menschen wurden bisher erschossen oder anderweitig durch Einsatz von Schusswaffen und Tränengas verletzt. Viele Protestierende wurden festgenommen und im Verlauf ihrer Haft gefoltert. Bisher sind über 500 Menschen getötet und ca. 18.000 Menschen inhaftiert worden. Unter den getöten befinden sich auch 69 Kinder. Viele der Verhafteten werden in Schauprozessen zu hohen Strafen verurteilt, bisher sind 2 Todesurteile durch Hinrichtungen durch die iranische Justiz vollstreckt worden.
Die Proteste stehen unter dem Motto Jin, Jian Azadi! bzw. Zan, Zendegi, Azadi! (Frau, Leben, Freiheit!). Dieser Solgan ist zentral für die Protestbewegungen auch außerhalb von Iran geworden. Das Abnehmen des Kopftuchs und das Abschneiden der eigenen Haare sind ebenfalls zum Zeichen des Protest von Frauen gegen das repressive Regime im Iran geworden. Die soziale Kämpfe in Form von Demonstrationen und Streiks finden nicht nur in den kurdischen Gebieten, sondern im gesamten Land statt.
Die Polizei geht weiterhin mit harten Mitteln gegen die demonstrierenden Menschen vor, um die Proteste zu unterdrücken. Die Gewalt durch Polizei, Militär und andere exekutive Kräfte wird systematisch angewendet, um den Machterhalt des Regimes unter Präsident Raisi und Ajatollah Chamenei zu ermöglichen. Dabei agiert die Polizei als Akteur, welche mit militärischem Equipment wie Fahrzeugen, Schusswaffen und weiterer Überwachungstechnologie ausgestattet ist.
 
Anti-Zero-Covid Proteste in der Volksrepublik China
 
In der Volksrepublik China wurde seit Ausbruch der Covid-19 Pandemie im Jahr 2020 eine sehr strikte Null-Covid (Zero-Covid) Politik verfolgt. Diese hatte zur Folge, dass z.B. im April 2022 über 25 Mio. Menschen in Shanghai mehrere Wochen im kompletten Lockdown verbringen mussten. 
Neben den Lockdowns kompletter Städte und Regionen gehörten Zwangsquarantäne, Massentestungen, Überwachung durch eine Covid-App und Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Einrichtungen, Geschäften und ÖPNV zum Alltag vieler chinesischer Menschen. Diese Maßnahmen gingen teilweise über die Maßnahmen hinaus, welche beispielsweise in Deutschland zur Bekämpfung der Pandemie angewendet wurden.
Im Oktober 2022 kam es zu einem Covid-Ausbruch in der Stadt Zhengzhou, Provinz Henan. Im größten Foxconn-Werk (Foxconn ist ein Zulieferer von Halbleitern für Apple) mit 200.000 Personen kam es zur Abriegelung des Werksgeländes durch die Polizei, ca. 100.000 Personen gelang die Flucht aus dem abgeriegelten Werk. Als im November 2022 jedoch erneut Covid-Ausbrüche im Werk auftraten, kam es zu großen Protesten und Zusammenstößen zwischen den Arbeiter:innen und der Polizei, wobei ca. 8 Arbeiter:innen starben und 20.000 Arbeiter:innen erneut das Werk verließen. 
Die strikten Lockdowns wurden auch im Westen Chinas in der Provinz Xinjiang angewandt. Im November 2022 kam es zu einem Wohnungsbrand in der Stadt Urumqi mit 10 Toten, welche den abgeriegelten Wohnblock nicht verlassen konnten. Dieser Vorfall war unter Anderem Auslöser für eine große Protestwelle, welche in vielen Städten Chinas, wie Beijing, Shanghai, Nanjing, Wuhan, Chengdu, Chongqing usw., stattfand. Viele tausend Protestierende gingen auf die Straßen und forderten ein Ende der Lockdowns, Massentests, der Überwachung und der strikten Null-Covid Politik. Die Reaktion der Kommunistischen Partei Chinas auf die Proteste war ein massives Aufgebot an Polizei. Es fanden Festnahmen, Anwendung von Pfefferspray und physischer Gewalt, Kontrollen von Handys auf verdächtige Fotos, Videos, VPNs, Apps und Polizeibesuche bei einzelnen Personen zu Hause statt. Die hohe Polizeipräsenz schaffte es zunächst, weitere Proteste zu verhindern, die Null-Covid Politik wurde am 07.12.2022 durch die KP Chinas weitgehend aufgehoben.
 
Mord an Journalist Romelson Vilsaint in Haiti
 
Nachdem im Jahr 2021 der Präsident Haitis durch ein Attentat in dem von anhaltenden Protesten erschütterten Land ermordet wurde, fanden in Haiti auch dieses Jahr große Proteste gegen die Folgen der Wirtschaftskrise, gegen die Regierung und gegen Premierminister Ariel Henry statt. 
Bei den Protesten, aber auch in anderen Situationen, häuften sich die Übergriffe auf Journalist:innen und Aktivist:innen durch die Polizei und durch paramilitärische Gruppen. Insgesamt wurden 8 Journalist:innen im Jahr 2022 in Haiti getötet. 
Die Gewalt wird bei willkürlichen Festnahmen durch die Polizei ausgeübt, es kommt zum Gebrauch von Schusswaffen und Personen werden angeschossen bzw. erschossen, Tränengas und Pfefferspray wird gegen Protestierende eingesetzt.
Bei einem Protest vor einer Polizeistation wurde der Journalist Romelson Vilsaint vom Radiosender Télé Zenith am 30.10.2022 von Polizist:innen getötet. Er wurde von einer durch die Polizei abgeschossenen Tränengasgranate am Kopf getroffen und verstarb an den Verletzungen im Krankenhaus. Vilsaint war zur Polizeiwache gegangen, um gegen die willkürliche Festnahme des Journalisten Dimanche Robeste und vier weiterer Personen zu protestieren.
Wenige Tage später, am 05.11.2022 wurde Fritz Dorilas, Co-Moderator der Sendung "Recht, Gesetz und Gerechtigkeit" erschossen.
Folgende weitere Journalist:innen wurden ermordet: Tess Gary von Radio Lebon FM, Frantzsen Charles von FS News und Tayson Lartigue von Tijén Journalis, Maxihen Lazarre von Rois de Infos und Wilguens Louissant und Amady John Wesley von Radio Écoute FM.
 
Als Reaktion auf diese anhaltende Mordserie fand Mitte November ein Protest von dutzenden Journalist:innen in der Hauptstadt Port-au-Prince gegen die anhaltende Gewalt vor einer Polizeiwache statt. Der Angriff auf die Pressefreiheit und die Einschüchterung von Medienschaffenden und Journalist:innen, welche über die sozialen Proteste berichten, kommt seitens der Polizei mit der Intention, den Protesten selbst den Nährboden zu entziehen, indem nicht mehr über sie und die sozialen Missstände berichtet wird. Dass dies ein Klima schafft, in welchem es als Journalist:in lebensgefährlich ist, einen Artikel zu veröffentlichen, wird leider billigend in Kauf genommen.
 
Kill the Bill - Proteste in Großbritannien
 
Am 26.04.2022 wurde in Großbritannien das Polizei- und Kriminalitätsgesetz (Police and Crime Bill) verabschiedet. Es ist die Antwort der britischen Regierung auf die seit Jahren anhaltenden sozialen Proteste im Vereinigen Königreich. Unter Anderem kam es zu Protesten für den Klimaschutz durch die Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) in den Jahren 2018 - 2021. Im Frühjahr 2020 fanden in Großbritannien die Black Lives Matter Proteste statt. Im Rahmen der Proteste kam es zu brutalen Polizeieinsätzen, nachdem die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston am 07.06.2020 in das Hafenbecken der Stadt Bristol gestürzt wurde. 
Außerdem fanden seit September 2021 Blockadeaktionen von Autobahnen unter dem Motto "Insulate Britain" (Isoliert Großbritannien) statt.
Das Gesetz überträgt einerseits der Innenminister:in mehr Befugnisse, andererseits gibt es mehr Maßnahmen zur Einschränkung friedlicher Proteste. Ein neuer Straftatbestand, die "Erregung von öffentlichem Ärgernis", welcher beispielsweise bei zu lauten Demonstrationen greift, wurde eingeführt, welcher mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Beschränkungen des Demonstrationsrechts durch die Polizei gestaltet sich in der Art, dass die Polizei bei Demonstrationen deren Startzeit und Endzeit und die Lautstärke bestimmen kann.
Zu Gewalt durch die Polizei kam es ebenfalls im März 2021 bei einer Mahnwache im Park Clapham Common gegen Polizeigewalt und Gewalt an Frauen in London nach dem Mord der 33-jährigen Sarah Everard. Sie wurde von einem Polizisten entführt, vergewaltigt und ermordet. Im Anschluss an diese Proteste kam es in Bristol erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant:innen und der Polizei mit gewaltvolle Festnahmen von vielen Protestierenden.
Die Proteste gegen das Polizei- und Kriminalitätsgesetz zogen sich durch das Jahr gesamte Jahr 2021.
Im Januar 2022 fanden in vielen Städten, z.B. London,  Bristol, Cardiff, Liverpool, Manchester, Birmingham uvm. Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmer:innen statt, welche alle unter dem Motto "Kill The Bill" (Verhindert das Gesetzt) die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit verteidigten. Das Gesetz wird als Angriff auf die Demokratie und die Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit gesehen. Nachdem es die britische Gesetzgebung durchlief, trat es am 28.06.2022 in Kraft.