Immer wieder erreichen uns in den Medien und vielleicht auch im sozialen Umfeld Berichte über Gewalt durch Polizeibeamt:innen. Doch es fällt schwer, das Problem als systematisches zu beschreiben, wenn uns stets nur Einzelfälle zu Ohren kommen. Deswegen haben wir eine kleine Anfrage des sächsischen Landtags ausgewertet. [1] Wir wollen Euch hier einen ersten kurzen Ausschnitt aus der Statistik zum Vorwurf der Körperverletzung im Amt durch sächsische PolizeibeamtInnen genauer darstellen:
Im Jahr 2019 wurde 308 mal der Tatvorwurf der (fahrlässigen) Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamt:innen in Sachsen erhoben. Damit machte dieser Vorwurf etwa ein Drittel aller erhobenen Tatvorwürfe aus. Von der Staatsanwaltschaft weiter verfolgt wurden von diesen 308 Vorwürfen gerade einmal vier (1.3 %). Die restlichen Verfahren wurden eingestellt, meist wegen mangelnder Nachweisbarkeit (187; 60.7 %). Viel seltener ergaben die Untersuchungen, dass die Tat keinen Straftatbestand erfülle (37; 12 %) oder die Unschuld erwiesen sei (35; 11.4 %).
In den vier zur Anklage gebrachten Fällen gab es eine Verurteilung (Geldstrafe). Zwei Verfahren sind aktuell noch nicht abgeschlossen, eines wurde bereits eingestellt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Tatvorwurf der (fahrlässigen) Körperverletzung im Amt als Polizeibeamt:in tatsächlich verurteilt zu werden, liegt also bei 1:307 bzw. 0,3 %.
Und hier ist noch nicht berücksichtigt, dass die überwältigende Mehrheit der Betroffenen von Polizeigewalt dieses Vergehen noch nicht einmal zur Anzeige bringt [2]. Diese große Dunkelziffer ist also in der vorliegenden Statistik [1] noch nicht berücksichtigt. Kurzum kann gesagt werden, dass sich ein:e Polizeibeamt:in, die im Amt mutmaßlich eine andere Person verletzt, nahezu sicher sein kann, dass ihr Vergehen entweder nicht zur Anzeige gebracht wird, von der Staatsanwaltschaft nicht näher verfolgt wird oder das Verfahren spätestens vor Gericht eingestellt bzw. mit einer zu vernachlässigenden Strafe belegt wird. So entsteht ein Klima der Straflosigkeit, in welchem sich die Beamt:innen bewegen können.
Diese Statistik für das Jahr 2019 stellt keine Ausnahme dar! Ähnliche Zahlen lassen auch für das Jahr 2018 beobachten: 267 vorgeworfene (fahrlässige) KV im Amt, davon in zwei Fällen Anklage erhoben (0.7%). Eines dieser Verfahren wurde eingestellt, eines befindet sich noch in der Berufung, das heißt Verurteilung = 0 %.
Um ganz sicher zu gehen, dass nicht nur die letzten zwei Jahren besonders hervorstechen, haben wir uns auch noch das Jahr 2017 angesehen und Überraschung: 336 vorgeworfene (fahrlässige) KV im Amt, davon immerhin in zwölf Fällen Anklage erhoben (3.6 %). Ausgang der Verfahren: sechsmal Freispruch, einmal Einstellung, drei noch in Berufung, das heißt erneut Verurteilung = 0 %.
Grundlage für diese Darstellung bietet die Auskunft des Freistaates Sachsen auf eine kleine Anfrage (Drs.-Nr.: 7/2942), diese ist für alle verfügbar unter: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=2942&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=2&dok_id=undefined
[1] Kleine Anfrage an den Sächsischen Landtag, Drs.-Nr.: 7/2942
[2] Laut der Studie von Tobias Singelnstein der Ruhruni Bochum beträgt das Verhältnis von Hellfeld zu Dunkelfeld von angezeigten Straftaten gegen Polizist:innen 1:6, also nur jede sechste Straftat wird auch wirklich von den Betroffenen zur Anzeige gebracht. https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/zwischenbericht