Polizeiberichte basieren auf Aussagen, welche von Polizist:innen selbst getätigt werden. Die Berichterstattung ist somit weder neutral noch objektiv. Es kommt immer wieder zu Verfälschungen von Tatsachen, dem Verschweigen von Ereignissen und der Verharmlosung von Polizeigewalt. Trotzdem werden diese Polizeiberichte in vielen Fällen von der Presse als einzige Quelle herangezogen und prägen somit die mediale Berichterstattung.
Ein lokales Beispiel dafür ist eine Demonstration, welche am 20. August 2020 in Dresden stattfand. Die Versammlung unter dem Motto „Evacuate them all!“ wurde von den Dresdner Initiativen Seebrücke Dresden, HOPE – fight racism, Mission Lifeline, Undogmatische Radikale Antifa (URA) Dresden, antifaschistische Jugend Dresden und Linksjugend Dresden organisiert.
Während dieser Demonstration kam es zu einer spontanen Entrollung eines großen Transparents. Diese Aktion wurde nicht nur durch polizeiliches Fehlverhalten vor Ort, sondern auch im Nachhinein durch eine auf falschen Tatsachen basierende polizeiliche Berichterstattung begleitet. Bundesweit sorgte der Vorfall in vielen Medien für einen Aufschrei.
Laut des Polizeiberichtes spielte sich alles wie folgt ab:
Aus der Versammlung heraus wurde ein sogenannter Nebeltopf geworfen. Darauf hin entschied sich der polizeiliche Einsatzleiter, diesen Nebeltopf alleine als Beweismittel zu sichern. Danach wurde er von 25-30 vermummten Versammlungsteilnehmern bedrängt. Nachdem er einen Stoß in Brusthöhe verspürte, entfernte er sich rückwärts, sagte „Schubs mich und du fängst Dir ’ne Kugel“ und legte seine Hand auf die Waffe, um eine Wegnahme zu verhindern.
Im Polizeibericht [1] wird das Verhalten des Polizisten vom Polizeipräsident Dresdens, Jörg Kubiessa, als „absolut angemessen“ betitelt. Es stellt sich berechtigterweise die Frage, wie die Aussage „Schubs mich und du fängst Dir ’ne Kugel“ von einem Polizeipräsidenten als „angemessen“ betitelt werden kann.
Dass dieser Satz überhaupt im Polizeibericht auftaucht, dürfte daran liegen, dass zuvor ein Video des Vorfalls [2] auf Twitter veröffentlicht wurde. In diesem Video ist eindeutig zu hören, wie der Polizist diesen Satz sagt. Es kann vermutet werden, dass dieser Satz ohne dieses Video nicht im Polizeibericht aufgetaucht wäre.
Nach der Veröffentlichung des Polizeiberichts tauchte auf Twitter allerdings noch ein zweites Video [3] auf, das die Szenerie vor dem angeblichen Sichern des Nebeltopfes als „Beweismittel“ zeigt. Dieses Video dokumentiert, dass der Polizeibericht nicht einmal ansatzweise der Wahrheit entspricht. Dort ist eindeutig zu sehen, dass der Polizist zu keinem Zeitpunkt vorhatte, den Nebeltopf als Beweismittel zu sichern. Stattdessen ging er auf die Menschen, die das Banner hochhielten, zu, und trat den Nebeltopf in deren Richtung.
Zusätzlich wird im Video deutlich, dass die Versammlungsteilnehmer:innen nicht 25-30 waren, sondern eher 10-15. Sie haben den Polizisten auch nicht „bedrängt.“ Viel mehr bedrängte er selbst diese Personen, indem er versuchte, sie wegzuschieben.
Es ist auch zu sehen, dass der Polizist die Hand nicht einfach nur auf die Waffe legt, sondern das Holster öffnet und diese ungefähr zur Hälfte herauszieht. Er muss also wirklich erwogen haben, diese auch zu benutzen oder zumindest seine Aussage mit dieser drohenden Geste zu unterstreichen. Er wollte sich jedoch keinesfalls nur davor schützen, dass sie ihm weggenommen wird.
Dieses Verhalten wird im Polizeibericht völlig verharmlost und unter den Tisch gekehrt. Die Aussage an sich ist schon skandalös genug. Wenn aber der Dresdner Polizeipräsident bei einem solchen Fehlverhalten auch noch Lob verteilt und nicht eher darüber nachgedacht wird, ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung [4] einzuleiten, unterstreicht dies noch einmal, wie wenig Bereitschaft besteht, eigenes Fehlverhalten aufzuklären.
Es zeigt ein tief liegendes Problem auf. Die öffentliche polizeiliche Berichterstattung ist stark von Eigeninteresse geprägt. Fehltritte und auch selbst begangene Straftaten werden nur selten thematisiert. Das eigene Handeln wird meist als korrekt und alternativlos dargestellt. Es mangelt an Neutralität und Unabhänigkeit. Trotzdem werden die darin enthaltenen Aussagen von öffentlichen Medien als neutral und seriös aufgefasst. So kommt es dazu, dass die Polizei als vermeintlich verlässliche, objektive Quelle herangezogen wird, obwohl sie aber zeitgleich Unwahrheiten verbreitet und falsche Tatsachen angibt.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass es möglich ist, mittels Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen Falschaussagen von Polizist:innen und Unwahrheiten in Polizeiberichten im Nachhinein aufzuklären.
Mitunter kann durch das Filmen von Einsätzen an sich auch schon währenddessen der Hergang beeinflusst werden. So kann es, wenn sich Polizist:innen darüber bewusst sind, dass der Einsatz per Handy gefilmt wird, zu verminderter Gewaltanwendung kommen, da diese ansonsten dokumentiert werden würde. Es ist deshalb wichtig, sich mit Menschen in Polizeikontrollen zu solidarisieren und ihnen beizustehen. Dazu zählt auch, den Einsatz gegebenenfalls zu Filmen.Wenn es möglich ist, sollte die betroffenen Personen vorher gefragt werden, ob sie damit einverstanden sind.
Selbst wenn durch ein:en Betroffen:en keine eigene Klage gegen die Polizist:nnen wegen Gewaltanwendung angestrebt wird, so kann es im Nachhinein passieren, dass die betroffene Person selbst Ziel einer Klage durch die Beamt:innen wird. In diesem Fall können diese Aufnahmen, falls es zu einem Gerichtsprozess kommt, als Beweismittel dienen. Dies kann zum Teil den Falschaussagen der Polizeibediensteten eine andere Perspektive entgegenstellen.
Leider ist das Filmen von Polizeieinsätzen rechtlich noch immer umstritten. Nichtsdestotrotz sollte immer versucht werden, das Geschehen auf Video aufzuzeichnen.
In einem kommenden Beitrag werden wir noch einmal genauer auf die Thematik „Filmen von Polizeieinsätzen“ eingehen.
[1] – https://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2020_75506.htm
[2] – https://twitter.com/Pixel_Roulette/status/1307773392834236416