Interview zu Polizeigesetzen und polizeilichem Fehlverhalten auf netzpolitik.org

KGP

Aus den Protesten gegen die Novellierung des sächsischen Polizeigesetzes entstand die „Kooperation gegen Polizeigewalt“

Aus den Protesten gegen die Novellierung des sächsischen Polizeigesetzes entstand die „Kooperation gegen Polizeigewalt“. Sie trägt als „Einzelfälle“ verbrämte Vorfälle von Polizeigewalt zusammen und untersucht die strukturelle Ebene des Problems. Menschen, die Polizeigewalt erlebt haben, soll Gehör verschafft und Unterstützung gegeben werden.

In den Jahren 2018 und 2019 gab es in Sachsen Proteste und Demonstrationen gegen das geplante neue Polizeigesetz, getragen von einem breiten Bündnis aus Bürgerrechtsgruppen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Fußballfans. Wir sprechen in einem Interview mit der daraus entstandenen Initiative Kooperation gegen Polizeigewalt, die sich tiefergehend mit dem strukturellen Problem von mutmaßlichen Tätern in Uniform auseinandersetzt und für die Opfer trotz der in Sachsen fehlenden unabhängigen Beschwerdestelle eine Anlaufstelle bietet.

Das Problem Polizeigewalt

netzpolitik.org: Es gab in Sachsen vor zwei Jahren Proteste gegen das damals geplante neue sächsische Polizeigesetz. Aus diesen Protesten entstand auch Eure Gruppe. Warum habt Ihr die sächsische „Kooperation gegen Polizeigewalt“ gestartet?

Kooperation gegen Polizeigewalt: Bei den Verhandlungen um das neue sächsische Polizeigesetz gab es anfangs auch immer wieder die Forderung nach einer komplett unabhängigen Beschwerdestelle. Diese wurde allerdings nie umgesetzt. Als Kompromiss wurde die damals bestehende Beschwerdestelle in die Staatskanzlei verlagert. Das wurde beispielsweise von Amnesty International damals schon kritisiert, da diese Stelle unterbesetzt ist, keine Ermittlungsbefugnisse hat und aufgrund der Nähe zur Staatskanzlei auch keine Unabhängigkeit gewährleistet werden kann.

Das offene Bündnis „Sachsens Demokratie“ organisierte damals Proteste gegen das sächsische Polizeigesetz. Innerhalb dieses Bündnisses entstand die Idee, wenn es nicht schon von staatlicher Seite her passiert, einfach eine eigene Stelle einzurichten. Als das Gesetz im April 2019 verabschiedet wurde, bildete sich aus „Sachsens Demokratie“ heraus eine Gruppe, welche sich mit dieser Idee näher beschäftigte. Es wurden verschiedene Konzepte gesichtet und ausgewertet, was es schon an ähnlichen Projekten gibt. Mit diesen Informationen wurde dann ein eigenes Konzept ausgearbeitet und die „Kooperation gegen Polizeigewalt“ gegründet.

netzpolitik.org: Wie groß ist das Problem Polizeigewalt aus Eurer Sicht?

Kooperation gegen Polizeigewalt: Polizeigewalt gehört zum Alltag vieler Menschen dazu, nicht nur hier in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Einige Vorfälle im letzten Jahr, wie beispielsweise der Mord durch Polizisten an George Floyd in den USA oder die Aufstände gegen die brutal agierende Spezialeinheit SARS in Nigeria, haben dies noch einmal stark verdeutlicht. Es handelt sich folglich um ein globales Problem, mit verschiedenen Facetten in unterschiedlichen Ländern. Jedoch handelt es sich bei diesen um bekanntgewordene Fälle. Die tatsächliche Anzahl und Qualität von Polizeigewalt bleibt zumeist im Verborgenen. Für uns ist Gewalt durch Polizist*innen ein systematisches Problem, welches bisher noch zu wenig thematisiert und skandalisiert wurde.

netzpolitik.org: Wo liegt der Fokus Eurer Arbeit?

Wir beziehen uns bei unserer Arbeit besonders auf Polizeigewalt in Deutschland. Über das tatsächliche Ausmaß der Gewalt durch Beamt*innen in Deutschland kann bisweilen wenig empirisch und objektiv festgestellt werden, da die Strafverfolgungsbehörden in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium keine empirische Untersuchung der Polizeiarbeit erlauben. Somit gibt es wenige aktuelle Daten, beispielsweise über Anzahl und Ausformung von Polizeigewalt. Für uns ist es wichtig, natürlich nur in einem kleinen Rahmen, da anzusetzen und Gewalt durch Polizist*innen zu protokollieren, um Daten zu erfassen, welche wir anschließend empirisch auswerten, um endlich Licht ins Dunkel zu bringen und damit eventuelle Veränderungsprozesse anstoßen zu können.

Was jedoch klar festgestellt wurde, ist, dass zum Beispiel rassistische Polizeikontrollen Alltag für viele Menschen sind. Polizeigewalt bringt, laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, einige spezifische Aspekte mit, die sie für Betroffene sehr belastend macht. Dazu gehört die scheinbare Legitimation durch das sogenannte Gewaltmonopol des Staates. Gewalt durch Polizeibeamte wird durch die Mehrheit der Bevölkerung nicht in Frage gestellt und als gerechtfertigt erlebt – auch wenn sie das nicht ist. Das schränkt die Bereitschaft von Zeug*innen, sich einzumischen und zu helfen, stark ein.

Doch nicht nur in dem Moment, in welchem Polizeigewalt selbst geschieht, sondern auch danach können Betroffene kaum Hilfe erwarten. Weder von den Ermittlungsbehörden, die ihnen die Gewalt angetan haben, noch von einer Staatsanwaltschaft, die im nächsten Fall wieder auf gute Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen ist. So entsteht ein Gefühl tatsächlicher Hilflosigkeit, welches für Menschen, die Polizeigewalt erleben, weitreichende Folgen im alltäglichen Leben haben kann: psychische Störungen, körperliche Verletzungen, Jobverlust oder Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Polizeigewalt ist also ein sehr großes Problem.

Was tun bei Polizeigewalt?

netzpolitik.org: Was ratet Ihr Menschen, die Polizeigewalt erleben?

KgP: Das Erleben von Polizeigewalt kann weitreichende psychische, körperliche und/oder ökonomische Folgen haben. Daraus kann ein Ohnmachtsgefühl resultieren, das zu Resignation, Hilflosigkeit und Niedergeschlagenheit führt. Unter anderem kommt es bei den Personen, die Polizeigewalt erlebt haben, obwohl sie diese anfangs als demütigend und übergriffig empfunden haben, später zu Selbstzweifeln und Selbstbeschuldigungen.

Um diese Gefühle zu überwinden ist vor allem der Austausch mit anderen sehr hilfreich. So kann man die innere Wut und die unterdrückten Emotionen rauslassen und sich davon befreien. Wir raten jedem Menschen, der Polizeigewalt erlebt hat, mit anderen darüber zu reden. Das geht im eigenen Freundeskreis, innerhalb der Familie oder eben auch bei uns. Wir versuchen den Menschen, die Polizeigewalt erlebt haben, Gehör zu verschaffen und diese bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu unterstützen. Je nach Situation vermitteln wir auch Rechtsbeistand oder psychologische Unterstützung.

netzpolitik.org: Und was sollten Menschen tun, die Polizeigewalt beobachten?

Für beobachtete Polizeigewalt hat Copwatch Leipzig eine sehr gute Handreichung erarbeitet. Kernpunkte, die alle im Hinterkopf behalten sollten, sind: nicht wegsehen, kontrollierte oder verletzte Menschen ansprechen und fragen, ob Hilfe benötigt wird, versichern, dass sie nicht alleine ist, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme durch die Polizei in Frage stellen und Beamt*innen nach Rechtfertigung fragen, den Vorfall nach Möglichkeit dokumentieren und gegebenenfalls Kontaktdaten an die kontrollierte Person weitergeben für eine mögliche Zeugenaussage.

netzpolitik.org: Eine lange geforderte Studie zu Polizeigewalt hat Bundesinnenminister Horst Seehofer erfolgreich blockiert. Gibt es denn mit Blick auf Sachsen Zahlen oder wissenschaftliche Untersuchungen dazu?

KgP: Auch in Sachsen sind uns keine wissenschaftlichen Untersuchungen oder statistischen Erhebungen zu Gewalt durch Polizeibeamt*innen bekannt. Doch um genau diesem Problem zu begegnen, haben wir uns eine kleine Anfrage an den Sächsischen Landtag, die nach Polizeigewalt fragte, genauer angesehen und die gelieferten Zahlen statistisch ausgewertet. Dabei ergab sich folgendes Bild: Im Jahr 2019 wurde 308 Mal der Tatvorwurf der Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamt*innen in Sachsen erhoben. Die Staatsanwaltschaft verfolgte gerade einmal vier dieser Fälle. Die restlichen Verfahren wurden eingestellt, 187 wegen mangelnder Nachweisbarkeit, bei 37 Fällen haben die Untersuchungen ergeben, dass die Tat keinen Straftatbestand erfülle und bei 35 erwies sich die Unschuld. In den vier zur Anklage gebrachten Fällen gab es eine Verurteilung zu einer Geldstrafe. Zwei Verfahren sind aktuell noch nicht abgeschlossen.

Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Tatvorwurf der Körperverletzung im Amt als Polizeibeamt*in tatsächlich verurteilt zu werden, liegt also bei 1 zu 307 beziehungsweise 0,3 Prozent. Und das sind nur die zur Anzeige gebrachten Fälle.

Laut der Studie von Tobias Singelnstein an der Ruhruni Bochum beträgt das Verhältnis von Hellfeld zu Dunkelfeld von angezeigten Straftaten gegen Polizist:innen 1 zu 6, also nur jede sechste Straftat wird auch wirklich von den Betroffenen zur Anzeige gebracht. Wir müssen also von weitaus mehr Fällen von Polizeigewalt ausgehen, als bisher bekannt sind.

Polizeibeamt*innen, die im Amt mutmaßlich eine andere Person verletzt haben, können sich aktuell nahezu sicher sein, dass ihr Vergehen entweder nicht zur Anzeige gebracht, von der Staatsanwaltschaft nicht näher verfolgt oder das Verfahren spätestens vor Gericht eingestellt beziehungsweise mit einer zu vernachlässigenden Strafe belegt wird. Dies bestätigen auch Zahlen aus den vorherigen Jahren.

Erfolgreiches Crowdfunding

netzpolitik.org: Eure Initiative hatte kürzlich eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Was war das Ziel?

KgP: Mit unserer Crowdfunding-Kampagne haben wir Geld gesammelt, um die Miete für unser Büro in Dresden für ein Jahr zu finanzieren. Darüber hinaus dient ein Teil dazu, die Kosten für Informationsmaterialien und Server zu decken. Unser Büro wird eine Anlaufstelle für Personen sein, die Polizeigewalt (mit)erlebt haben. Es ist ruhig, geschützt und bietet einen Raum, offen über Erfahrungen zu reden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Im Anschluss können wir, je nach Wunsch der Betroffenen, mit medialer Aufmerksamkeit, psychologischer oder anwaltlicher Unterstützung weiterhelfen.

Durch das Crowdfunding konnten wir zudem unsere Initiative und unsere Arbeit vorstellen und Interessierten einen Einblick geben, womit wir uns beschäftigen. Die Crowdfunding-Kampagne benötigten wir, weil wir keine Förderanträge auf Finanzierung durch politische Parteien und Stiftungen stellen und auch keine Spenden von politischen Parteien, Stiftungen, staatlichen Strukturen, großen Unternehmen und Firmen entgegennehmen. Die Gesellschaft sollte die Strukturen selbst erhalten, an denen sie ein Interesse hat. Indem wir politische und kommerzielle Gelder aus dem Kollektiv ausschließen, denken wir, dass wir unabhängiger von politischen Einflüssen bleiben können. Einen riesigen Dank an alle, die uns unterstützt haben!

In Zeiten des Lockdowns

netzpolitik.org: Es wurde eben schon kurz angesprochen: Von Polizeigewalt und auch von Polizeikontrollen und -diskriminierung sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Hat sich seit dem Inkrafttreten der Corona-Maßnahmen in Sachsen eigentlich etwas verändert?

KgP: Die Befugnisse und Präsenz der Polizei weiten sich in den Zeiten des Lockdowns stark aus. Bereits im März 2020 konnten wir wiederholt Kontrollen von wohnungslosen Menschen beobachten, die bestraft wurden, weil sie sich nicht an die Ausgangssperre halten konnten. Ebenso können die neuen Regelungen zum Anlass genommen werden, jede Person nach dem Grund ihres Aufenthaltes im öffentlichen Raum zu fragen. Nach Belieben der Beamt*innen können Ausweise, Belege für Partner*innenschaften oder Arbeitsnachweise verlangt werden.

Wenn solche Möglichkeiten und die einhergehende Macht nun mit zum Teil rassistischen, rechtsradikalen Einstellungen der Polizist*innen zusammenfallen, sind diskriminierte Gruppen im Resultat wiederum überproportional häufig betroffen. Auch bei der Verhängung von Strafen können Polizist*innen häufig nach Augenmaß entscheiden, etwa bei Verstoß gegen Ausgangssperren oder Alkoholverbot, und dieses Augenmaß kann nicht objektiv oder „gerecht“ sein.

Nicht in Erklärungsnot

netzpolitik.org: Das Stichwort rechtsradikal fiel eben schon: Deutschlandweit wird in den letzten Monaten von Polizisten berichtet, die sich in rechtsradikalen Chatgruppen treffen und aus ihrer rechten Gesinnung darin keinen Hehl machen. Polizeivertreter erklären dazu regelmäßig, dass es sich um Einzelfälle handele. Diese Argumentation ist auch bei Polizeigewalt oft zu hören. Ist die Debatte um rechte Polizisten vergleichbar mit der Diskussion um Polizeigewalt?

KgP: Es gibt eine gewisse Parallelität, angefangen bei der betroffenen Institution. Dabei wirkt es wie ein Versuch der Strafverfolgungsbehörden, jegliche negative Auffälligkeiten innerhalb der eigenen Organisation zu entschärfen. Es fällt schwer, das Problem als systematisches zu beschreiben, wenn uns stets nur „Einzelfälle“ zu Ohren kommen. Es erweckt also den Anschein, dass sowohl bei den Chatgruppen als auch bei Polizeigewalt häufig die strukturelle Ebene des Problems ausgeblendet wird.

Ein Unterschied ist, dass die Polizei zu einzelnen Veröffentlichungen von Polizeigewalt häufig überhaupt keine Stellung bezieht, während sie bei rechten Netzwerken immerhin schon mal in Erklärungsnot geraten ist: Dazu gehört der Fall von Polizeigewalt in Magdeburg, die Gewalt auf einer Demonstration in Berlin oder das Vorgehen der Polizei im Danneröder Wald.

Polizeigewalt wird so als „normal“ und gerechtfertigt erlebt, dass es kaum Thema wird oder es zum Beispiel in die Nachrichten schafft. Dabei ist es natürlich kein Zufall, wenn Polizist*innen Gewalt anwenden. Das hat mit der Ausbildung und einstudierten Denkmustern zu tun, die dann im Einsatzfall zu unkontrollierter Gewaltausübung führen.

Auch hier gilt wieder festzustellen, dass die Diskussion über Einzelfälle versus systematisches Problem in einer hypothetischen Debatte endet. Es ist daher umso wichtiger, konkrete Fakten zu erheben, um Feststellungen treffen zu können.

netzpolitik.org: Seit dem 1. Januar 2020 ist das eingangs angesprochene Sächsische Polizeigesetz nun in Kraft. Die GFF hat kürzlich eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Polizeigesetz eingereicht. Was sind Eure zentralen Kritikpunkte am neuen Polizeigesetz?

KgP: Das Gesetz gibt der Polizei Befugnisse bei einer „abstrakten Gefahr“ und gegenüber sogenannten Gefährdern. Die sächsische Polizei kann somit bei bloßen Vermutungen ermitteln, ohne dass überhaupt ein Verbrechen begangen wurde oder ein begründeter Verdacht vorliegt. Das bedeutet: Die Polizei kann quasi gegen jede/n ermitteln. Somit setzt das Polizeigesetz die Unschuldsvermutung außer Kraft.

Hinzu kommt die Überwachung im grenznahen Bereich mittels Gesichts- und Kennzeichenerkennung. Diese ist in einem Dreißig-Kilometer-Umkreis an den Grenzen zu Polen und Tschechien erlaubt. Bei der Novellierung des Gesetzes konnte sich niemand so richtig vorstellen, wie groß dieser Bereich wirklich ist. Deswegen wurde damals vom Bündnis „Sachsens Demokratie“ eine Karte angefertigt, um dies zu verdeutlichen.

Es stellte sich heraus, dass es sich hier ca. um die Hälfte Sachsens handelt. Diese großflächige Videoüberwachung ist ein enormer Einschnitt in die Grundrechte und Privatsphäre der Menschen. Hinzu kommt, dass davon nicht nur sächsische, sondern auch polnische und tschechische Bürger*innen betroffen sind.

Des Weiteren ist die Militarisierung der Polizei ein großer Kritikpunkt. Das Gesetz erlaubt den Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei.

Hier werden Freiheitsrechte mit Füßen getreten. Es wird verstärkt ein Klima der Angst und des gegenseitigen Misstrauens geschaffen. Anstelle von Militarisierung und Ausstattung mit immer weiteren Überwachungs- und Ermittlungsbefugnissen stellt sich doch die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, dieses ganze Geld in besser funktionierende soziale Strukturen zu stecken.

Ein anderer Kritikpunkt ist, dass es die anfangs geforderte Kennzeichnungspflicht sowie die wirklich unabhängige Beschwerdestelle nicht in das Gesetz geschafft haben. Es wurde sich vehement gewehrt, irgendeine Art von Kontrollinstanz für polizeiliches Fehlverhalten zu schaffen. Das neue Polizeigesetz rüttelt somit an der körperlichen Unversehrtheit, der persönlichen Freiheit, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dem Briefgeheimnis, der Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Gesetz ist ein Angriff auf unsere Grundrechte und die Grundfesten des Zusammenlebens.

netzpolitik.org: Haben aus Eurer Sicht die gesetzlichen Ausweitungen der polizeilichen Befugnisse, die in den letzten Jahren zu verzeichnen sind, auch Einfluss auf Fragen der Polizeigewalt?

KgP: Mehr Befugnisse für die Beamt*innen legitimieren natürlich auch häufigere und tiefgreifendere Eingriffe. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass Polizeigewalt ja nicht nur bedeutet, dass Polizist*innen Leute schlagen oder knebeln. Es geht dabei auch um Schikane, beispielsweise durch „unabhängige Kontrollen“, gefährliche Orte, welche jede Person, welche sich dort bewegt, auch gleichzeitig als eventuelle Gefährder*in stigmatisiert.

Die neuen Gefahrenbegriffe wie die „abstrakte Gefahr“ ermöglichen die präventive Gefahrenabwehr. Polizist*innen können nun aufgrund eigener Erfahrungswerte abschätzen, was eine mögliche Gefahr darstellen könnte und diese unterbinden. Dies erweitert den Handlungsspielraum der Polizist*innen enorm und schafft viel Platz für diskriminierende Kontrollen und Polizeigewalt. Zusätzlich senkt es den Rechtfertigungsdruck der Polizist*innen gegenüber zum Beispiel einer kontrollierten Person und macht somit ein sich zur Wehr setzen unmöglich. Da diese Begriffe sehr schwammig definiert sind, ist es sehr schwierig, einzuschätzen, ob eine Kontrolle gerechtfertigt ist oder nicht. Kontrollen ermöglichen polizeiliche Gewalt, die später vor Gericht kaum anzufechten ist, da so gut wie alles eine abstrakte Gefahr sein könnte.

netzpolitik.org: Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Das Interview wurde schriftlich in einem Pad mit mehreren Aktivisten der Kooperation gegen Polizeigewalt geführt.

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