Polizeigewalt ist Alltag #3

Deutschland Polizeigewalt Sachsen

Vorfall am 11.01.2025 in Riesa

Vorfall am 11.01.2025 in Riesa, Sachsen
 
Am 11.01.2025 wurde ein Abgeordneter der Partei "Die Linke" im sächsischen Riesa durch einen Polizisten bewusstlos geschlagen [1]. Der Landtagsabgeordnete Nam Duy Nguyen und ein Begleiter befanden sich als parlamentarische Beobachter vor Ort. In Riesa fand zu diesem Zeitpunkt der Bundesparteitag der Partei AfD und Gegenproteste gegen diesen statt. Im Rahmen von mehreren Kundgebungen hielt sich Nguyen ebenfalls vor Ort auf, als sich der Vorfall von Polizeigewalt ereignete. 
 
Laut Nguyen [2] haben er und sein Begleiter sich "sehr deutlich zu erkennen gegeben als parlamentarische Beobachter, sowohl verbal als auch mit der Warnweste und einem Ausweis." Weiter führt Nguyen aus: "Das wurde übergangen. Sowohl mein Mitarbeiter als auch ich haben einen Schlag ins Gesicht bekommen. Und ich bin daraufhin ohnmächtig zu Boden gefallen. Das war auf jeden Fall eine sehr schlimme Erfahrung."
Ein Video [3] zeigt die Situation direkt nach dem Vorfall, es sind mehrere Polizeibeamte zu sehen, welche auch danach noch mit mehreren Faustschlägen gegen eine Person zielen, welche sich schützend vor den am Boden liegenden Nguyen stellt. Im Hintergrund ist eine Polizeikamera zu sehen, welche den Vorfall aufzeichnet, demnach muss mit hoher Wahrscheinlichkeit Videomaterial vom gewaltsamen Vorgehen der Polizei existieren. 
 
Es kann davon ausgegangen werden, dass hier Polizeigewalt in Form von Körperverletzung im Amt (KV im Amt) vorliegt, welche durch den oder die Polizisten begangen wurden. Nguyen und sein Mitarbeiter hielten sich als parlamentarische Beobachter in Riesa auf, um das Geschehen rund um die Proteste zu beobachten und zu dokumentieren. Nguyen genießt als Abgeordneter des sächsischen Landtags durch sein Amt besonderen Schutz, was die Gewalt gegen ihn und die besondere Schwere dieses Vorfalls verdeutlicht. Nguyen stellte Strafanzeige gegen den Polizisten, die Polizei selbst hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. 
 
Dresdens Polizeipräsident Lutz Rodig äußerte sich zum Vorfall. Er veranlasste, "dass der Sachverhalt mit höchster Priorität aufgearbeitet" werde. Ähnlich äußerte sich Sachsens Innenminister Armin Schuster, der den Fall ebenfalls rasch aufklären will [4].
Da hier ein Abgeordneter des Landstags Betroffener von Polizeigewalt wurde, ist der politische und mediale Druck auf die sächsischen Behörden hoch, sodass seitens der beiden verantwortlichen Vorgesetzten eine schnelle Aufarbeitung zugesichert wurde. 
Dies ist jedoch nicht immer der Fall, wenn Polizeigewalt und die Straftat "Körperverletzung im Amt" vorliegt. Hier ist der Ermittlungseifer der Polizeibehörden häufig kaum erkennbar. Und wenn es dann doch einmal zu einem Verfahren gegen die gewaltausübenden Beamten kommt, dann haben die nur wenig zu befürchten.
Eine Auswertung einer kleinen Anfrage an den sächsischen Landtag liefert hier aufschlussreiche und erschreckende Einblicke zum Thema Körperverletzung im Amt [5].
Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Tatvorwurf der (fahrlässigen) Körperverletzung im Amt als Polizeibeamt:in tatsächlich verurteilt zu werden, lag 2019 bei 1:307 bzw. 0,3 %. Für das Jahr 2020 zeichnete sich ein ähnliches Bild ab [6]. Es kann also zurecht von einem Klima der Straffreiheit für Polizist:innen gesprochen werden, welche Körperverletzung im Amt begehen. 
 
Für Betroffene von Polizeigewalt ist häufig die einzige Hoffnung, dass die Tat per Handy von Umstehenden  aufgezeichnet wurde. Dies stellt ein Beweismittel dar, welches vor Gericht dazu verwendet werden kann, den tatsächlichen Hergang objektiv zu beweisen.
Mitunter kann durch das Filmen von Einsätzen auch schon währenddessen der Hergang beeinflusst werden. So kann es, wenn sich Polizist:innen darüber bewusst sind, dass der Einsatz per Handy gefilmt wird, zu verminderter Gewaltanwendung kommen, da diese ansonsten dokumentiert werden würde. 
Es ist deshalb wichtig, das Vorgehen der Polizei zu dokumentieren und sich mit Menschen in Polizeikontrollen und Konfliktsituationen mit der Polizei zu solidarisieren und ihnen beizustehen. Dazu zählt auch, den Einsatz gegebenenfalls zu Filmen. Wenn es möglich ist, sollte die betroffenen Personen vorher gefragt werden, ob sie damit einverstanden sind. 
 
Da Polizist*innen als Amtsträger*innen in ihren Einsätzen öffentlich agieren, müssen sie grundsätzlich akzeptieren, wenn ihre Einsätze dokumentiert werden, indem sie beispielsweise fotografiert oder gefilmt werden. Gerade aufgrund des Gewaltmonopols unterliegt die Polizei einer besonders strengen Rechtsstaatskontrolle. Dazu zählt das Recht, die Beamt*innen bei der Arbeit zu filmen.
Mehr hilfreiche und konkrete Informationen zum Thema "Filmen von Polizei" sind hier [7] zu finden.
 
Es bleibt abzuwarten, wie der weitere Verlauf um die Ermittlungen gegen die niedersächsischen Beamten, welche die Polizeigewalt verübten, sich gestaltet. Dass hier jedoch das Problem der Polizeigewalt und insbesondere der Straftatbestand "Körperverletzung im Amt" durch Polizist:innen im größeren Rahmen ernst genommen und an einer strukturelle Lösung des Problems gearbeitet wird, kann wohl bezweifelt werden. Jedenfalls scheint beim Gewerkschafter der Polizeigewerkschaft Niedersachsen, Kevin Komolka, wenig Problembewusstsein für die strukturelle Ebene von Polizeigewalt zu herrschen. Eher wird ein parlamentarischer Beobachter als "Anwalt der Demonstranten" verunglimpft [8]. Dass dieser jedoch in seiner Funktion als Teil der gesetzgebenden Legislative das Recht und die Pflicht hat, das Handeln der Polizei als Exekutive und mögliche Verstößen gegen geltende Gesetze und Straftaten, welche Polizist:innen im Amt begehen, zu dokumentieren und ggf. zu kritisieren, scheint den Polizeigewarkschafter weniger zu interessieren.
 
Quellen: